Einmal um die halbe Welt -Moskau, Wolgograd, Chicago und Washington

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3. Juni 2019

Es geht endlich wieder los


Der Rucksack ist gepackt, unter dem Heizungsleck steht ein Auffangbehälter, der Nachbar ist gebrieft, Zeit für den Aufbruch in den nächsten Urlaub, drei Wochen lang um die halbe Welt, aber erstmal geht es jetzt zum Bahnhof und von dort mit dem Zug nach Hamburg.

Die Deutsche Bahn wäre nicht die Deutsche Bahn, wenn dieses Unterfangen reibungslos gelänge. die angekündigte Verspätung liegt bei 35 Minuten und der Zug fährt in umgekehrter Wagenreihung ein. Damit habe ich ja ausreichend Zeit, über den Bahnsteig zu laufen. Irgendwann ist der ICE dann auch da und schaukelt sich durch Norddeutschland, bis wir unplanmäßig in Lüneburg halten und darüber informiert werden, dass die Lok einen Schaden hat...  Erfreulicherweise gelingt es aber dem Lokführer diesen zu beheben, so daß wir nach einiger Zeit weiterfahren. Mit 58 Minuten Verspätung steige ich am Dammtorbahnhof aus.


Christopher sammelt mich dort ein und wir fahren zusammen nach Kiel. Bevor wir morgen nach Moskau aufbrechen können, moderiert er noch den Kieler Energiediskurs und ich mache dabei Fotos. Der Vortrag dreht sich darum, warum die Energiewende so schwer ist und passt prächtig in die aktuelle Zeit. Neben spannendem Input gibt es auch ein sehr leckeres Buffet und interessante Gespräche, zum Beispiel berechtigterweise darüber, warum wir am nächsten Tag denn nach Moskau fliegen wollen und nicht den Zug nehmen.


Zurück in Hamburg nehmen wir noch einen Absacker und freuen uns auf den Urlaub.


4. Juni 2019

Москва - мы приехали


Der Urlaub beginnt sehr früh, um 8.40 soll es mit Air Baltic via Riga nach Sheremetyevo gehen, also klingelt der Wecker bereits um kurz vor sechs. Es klappt alles reibungslos und um 14.40 Uhr landen wir pünktlich in Moskau. Einreise und Gepäckabholung sind geschwind erledigt und bevor wir um 16 Uhr in den Aeroexpress zum  Weissrussischen Bahnhof steigen, holen wir uns bei Megafon noch schnell eine Simkarte, 14 Tage unbegrenzt surfen für 500 Rubel. So sind wir für kleines Geld mit der Welt verbunden.

Mischa, unser Airbnb Gastgeber ist so lieb uns am Bahnhof abzuholen und in unser Quartier zu fahren und so beginnen wir noch vor 18 Uhr mit unserem Streifzug durch die russische Metropole. Auf dem Gartenring geht es los, hinüber zum Neuen Arbat, am Haus der Russischen Föderation vorbei. Am (alten) Arbat stärken wir uns bei Shake Shack, dem einzigen in Russland und seit unserem Trip in die Emirate unser Lieblingsburgerladen.

Die Pommes mit Schinkenkäsesauce liegen ein wenig schwer im Magen, aber es war sehr lecker. Wir setzen unseren Spaziergang fort und stoßen am Alexandergarten auf den Kreml, der wunderbar in der Abendsonne vor uns liegt. Am Grabmal des unbekannten Soldaten vorbei und am historischen Museum gehen wir auf den Roten Platz. Der von mir erhoffte "Oooh"-Effekt bleibt aber leider aus: Auf dem Roten (oder auch schönen) Platz findet eine Art Buchmesse statt und alles ist mit irgendwelchen Buden vollgestellt.  Nunja, wenn man schon so einen großen Platz mitten in der Stadt hat, warum soll man ihn nicht auch nutzen. Trotzdem gefiel er mir früher besser, als er noch meistens leer war (und Flugzeuge darauf landen konnten)

Ich fröne meiner Fotoleidenschaft, während allmählich die Dämmerung einsetzt, zwischendurch kehren wir im GUM ein, hier sind irgendwelche Eiswochen und an jeder Ecke wird lecker russisches Eis verkauft, wer kann da schon widerstehen. Gut nur, daß die Pommes schon gesackt sind.

Danach werden der Rote Platz und der Kreml nochmal im Dunkeln abgelichtet, ich schleppe das Stativ ja nicht umsonst um den halben Planeten, bevor wir mit der Metro heimfahren. Und auch hier hat sich einiges getan, seitdem ich das letzte Mal in der Stadt war. Die Beschilderung ist jetzt auch auf englisch und selbst am Kassenhäuschen ist die Verkäuferin fremder Zungen mächtig, als wir unsere Troika Card erwerben.

Den Moskauer Untergrund werden wir in den kommenden Tagen noch zur Genüge erkunden. Jetzt decken wir uns im Späti noch mit Proviant und Frühstück ein und dann geht es ab ins Bett.


5. Juni 2019

Moskva, sieben Schwestern und andere Monumente


Die Sonne scheint warm in unser Apartment und so setzen wir unser Stadtbesichtigungsprogramm fort, in dem wir zur Metrostation Majakowskaja spazieren. Auf dem Weg dorthin gibt es einen Hipstersupermarkt, in dem wir uns stärken können, dann fahren wir zur Teatralnaya, wo wir gestern abend aufgehört haben. Bolschoi-Theater, Kinderkaufhaus, Lubjanka und die gut abgeschirmte Präsidentschaftskanzlei liegen auf unserem Weg zum Sarjadje Park, der dort entstand wo früher einmal Europas größtes Hotel, das Rossija seinen Platz hatte.

Schön grün ist es geworden, eine schwebende Brücke ragt über die Moskwa hinaus und eine ganze Menge Menschen tummeln sich an dieser noch recht neuen Moskauer Attraktion, die bereits als eine der World's Greatest Places to visit gekürt wurde. Wir genießen den Ausblick und machen einige Fotos, bevor wir unseren Weg an der Kremlmauer entlang fortsetzen um am Grabmal des unbekannten Soldaten die Wachablösung zu bestaunen.

Dieses Vorhaben wird allerdings durch allerlei Absperrungen torpediert, offenbar passiert hier gleich irgendwas, so dass wir unsere Pläne ändern müssen.  Wir fahren stattdessen zur Universität, das Gebäude ist eine der sieben Schwestern im sogenannten stalinistischen Zuckerbäckerstil. Ein sehr imposantes Bauwerk, eine faszinierende Mischung aus schön und furchteinflößend. Als wir aus der U-Bahn ans Tageslicht klettern, wird unser Blick aber zuerst von ein paar Tatra-Straßenbahnen, Modell T3 abgelenkt. Über das weitere Vorgehen müssen wir nicht beraten, wir steigen ein.

Die Linie 26 karrt uns in ein Wohngebiet, in dem wir ein wenig spazieren gehen. Abseits der prächtigen Bauten der Stadt geht es authentischer zu, es ist nicht alles in Schuß, aber man gibt sich Mühe. Was uns sehr positiv auffällt, ist das viele Grün, sowohl entlang der Straßen, als auch in den Innenhöfen. Eine Haltestelle weiter steigen wir wieder in die 26 und wollen zurückfahren, unterwegs sehen wir draußen eine Markthalle, den Cheryomushkinsky Markt und springen aus der Bahn. Hier geht es aber schon sehr modern zu. Wir trinken Granatapfelsaft und essen  Tschebureki, das Fett läuft mir unten raus aufs T-Shirt, aber das ist eh schon durchgeschwitzt.

Zurück am Endpunkt Universität kehren wir beim armenischen Schaschlikgriller ein und essen sehr lecker bevor wir unseren Spaziergang  zum Universitätshochhaus fortsetzen. Unter schattigen grünen Bäumen vorbei an allerlei Fakultäten nähern wir uns dem Bau, die Sonne kommt aus der richtigen Richtung und zahlreiche sowjetische Relikte lassen mein Herz höher schlagen. Wir versuchen auch hineinzugehen, wie schon befürchtet sind dafür aber irgendwelche Ausweise erforderlich.

Auf der anderen Seiten gehen wir bis zum Balkon, der von den Sperlingsbergen eine schöne Aussicht über den Lushniki Sportkomplex und Moskau bietet, Zeit für ein Eis!

Zur Metrostation Vorobjowy Gory gelangen wir über einen sehr abenteuerlichen Weg durch den Wald die Sperlingsberge hinab. Nebenan baut man wohl gerade eine Seilbahn, wir sind froh, dass wir uns nicht die Knochen brechen. Unser nächster Stop heiß Park Kulturyi, über die Krim Brücke gelangen wir zum Garten der Tretjakow Galerie. Neben Springbrunnen und Erholungsmöglichkeiten befindet sich hier der Friedhof der gestürzten Denkmäler. Hier hat man allerlei geschliffenen Monumenten eine letzte Ruhestäte eingerichtet, zum Beispiel Stalin, Breschnew oder Dscherschinski Auch in den Gorki Park werfen wir noch einen kurzen Blick, ebenso wie auf die Schokoladenfabrik "Roter Oktober"

Mittlerweile macht sich eine gewisse Fusslähme breit und wir laufen zur Metrostration Polyanka um zum Nordhafen zu fahren. Hier habe ich 1989 auf Klassenfahrt auf einem Schiff übernachtet und es zieht mich dorthin zurück. Wir haben schöne Stimmung in der Abendsonne und trinken ein Bier, dann folgt der sowjetische Höhepunkt des Tages, die Kantine am Puschkinplatz, die im Fernsehbericht "Mythos Moskau" gefeatured wurde und deshalb unsere Neugierde geweckt hat.

Ganz ist die Zeit auch hier nicht stehengeblieben, aber ohne den Fernsehbericht hätten wir dieses Lokal im Keller sicher nicht gefunden. Es gibt Suppe des Tages (Chartscho), Tschebureki und Mors. Danach ist Christopher so geschafft, dass er direkt ins Bett muss. Wenn das Handy nicht lügt, sind wir heute 26 Kilometer gelaufen.  Ich schreibe noch eben unsere Erlebnisse auf und sortiere die Fotos, dann höre auch ich das Bett laut rufen. 


6. Juni 2019

Back in the USSR


Auch heute bginnen wir wieder in Moskaus Mitte und stellen uns fürs Lenin Mausoleum an, das nur noch dreimal die Woche geöffnet hat. Nach einer Sicherheitskontrolle geht es an der Kremlmauer entlang, vorbei an den Grabstätten allerleier Sowjethelden hinein ins Mausoleum und hinunter zu den einbalsamierten Überresten Lenins. Aussehen tut er sehr wächsern und klein und als würde er nur noch aus Kopf und Händen bestehen. Weitere körperliche Formen sind unter der Decke nicht zu erahnen.

Um 11 Uhr nehmen wir nun heute die Wachablösung am Grabmal des unbekannten Soldaten mit. Bei der aktuellen Hitze dort stehen zu müssen, ist sicher keine Freude. Den frisch ausgewechselten Wachen wird von einem weiteren Offizier die Kleidung zurechtgerückt, dann dürfen sie eine Stunde warten, bis sie abgelöst werden.

Von der Station Teatralnya fahren wir zur WDNCh, dem Gelände der ehemaligen Allunionsausstellung. Präsentierten hier früher die verschiedenen Sowjetrepubliken ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse und später auch andere Errungenschaften, ist das Gelände heute eine Art Erholungspark mit viel Sowjetcharme. Noch vor dem Eingang sticht einem aber erstmal das Denkmal für die Eroberer des Weltraums ins Auge. Nebenan ist das Kosmonautenmuseum.

Auf dem Ausstellungsgelände empfängt einen der Brunnen der Völkerfreundschaft, umgeben von Pavillons ehemaliger Sowjetrepubliken, Freunde sowjetischer Überbleibsel kommen hier voll auf ihre Kosten. In einem der Gebäude gibt es ein recht neues und beeindruckendes Modell der Stadt Moskau. Als wir reinkommen, ist gerade eine Lightshow im Gange und wir gucken, wo wir schon überall gewesen sind und noch hinkommen werden. Sowjetisch passend speisen wir Soljanka und Pelmeni im etwas plüschigen "Moskauer Himmel", 

Es sind über 30 Grad und nach dem gestrigen Tag sind wir bereits jetzt fußlahm, aber es nützt ja nichts, weiter geht es mit dem sowjetischen Supermarkt und der Skulptur Arbeiter und Kolchosbäuerin, die auf dem sowjetischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris stand. Ziemlich monumentales Ding. Fett!

Wir fahren zur Metrostation Smolenskaya und laufen zum Außenministerium, auch eine der sieben Schwestern, dann geht es auf einen Drink auf den Novy Arbat, dessen sozialistische Plattenbauten eine große Faszination auf Christopher ausüben und ihm viel mehr gefallen als der alte Arbat. Wir schlendern über den Nikitsky Boulevard zur Tverskaya und bestaunen die Zentrale der TASS.

Abendessen gönnen wir uns heute nochmal bei Shake Shack. Russisch hatten wir  ja bereits. Im Moskauer Untergrund fehlt uns noch die Station Komsomolskaya, das ist mit fahren statt mit viel Gelaufe verbunden, so daß wir die als nächstes ansteuern und oben den Platz der drei Bahnhöfe bewundern, Jaroslawler (ab hier fährt die Transsibirische Eisenbahn), Leningrader (ja, der heißt immer noch so) und der Kasaner Bahnhof. Dann reicht es uns für heute (dabei waren es doch nur 24 km zu Fuß)

Moskauer Metro


7. Juni 2019

Modernes Moskau


Es gibt ein Metromuseum in der Stadt und wir wollen es sehen, leider lässt sich nicht eindeutig herausfinden, wo genau es ist. Manche Websites berichten von der Station Sportivnaya und das es schwierig sei, das Museum dort zu finden, weil man im Nordvestibül durch eine Tür müsse, durch die es auch zur Bahnpolizei ginge. Auf einer anderen Seite finden wir sogar einen U-Bahnsimulator, laut Übersetzer handelt es sich hier aber auch um das Karrierezentrum der Moskauer Metro, das sich an der Vystavochnaya befindet. Da wir zwar beide gern mal U-Bahn fahren würden, aber keine Karriere bei der Moskauer Metro anstreben, fahren wir zur Sportivnaya. Wir finden auch die ominöse Tür, aber kein Museum. Die Frau an der Metrokasse schickt uns zur Vystovochnaya, na dann lassen wir uns mal überraschen.


Auf diese Art und Weise können wir noch auch die neue Moskauer Ringbahn ausprobieren, die zur Ergänzung der Metrolinie 5 weiter außen fährt, von der RZD betrieben wird und 2016 eingeweiht wurde.  Schließlich erreichen wir das Karrierecenter von Mosgortrans.

Los ist hier nicht viel, fünf Angestellte langweilen sich und wir bewundern verschiedene Exponate aus der Geschichte einer der meistgenutzten Untergrundbahnen der Welt, alte Wagen, Sperren, Fahrkarten und am Ende des Rundgangs ein Simulator, der von zwei Jugendlichen besetzt wird. Wir bekommen leuchtende Augen und schauen zu und irgendwann räumen die beiden ihren Platz und Christopher darf sich setzen. In gebrochenem Englisch gibt es eine Einweisung in den Führerstand und schon geht die Reise los. Strom geben, Bremsen, Ansagen für die Passagiere, Türen auf, Türen zu, die beiden sind sehr ernsthaft bei der Sache und streben eine Karriere als Metrofahrer an. Bessere Lehrer hätten wir wohl kaum bekommen können. Als ich dran bin, bremse ich nicht rechtzeitig und fahre durch die Station durch. Das löst größere Hektik aus und selbstverständlich wird nicht weitergefahren, sondern der Rückwärtsgang eingelegt, bis ich richtig stehe und die Passagiere ein- und aussteigen können. Danach darf ich den Zug noch aufs Abstellgleis stellen. Wir bedanken uns, ein schönes Erlebnis.

Praktischerweise sind wir hier eh schon beim nächsten Punkt auf unserem Besichtigungsprogramm, Moscow City, der neueste Stadteil, vor allem aus Hochhäusern bestehend. Man möchte auch eine moderne Skyline mit Wolkenkratzern haben und hat daher Mitte der 90er Jahre mit diesem Projekt begonnen.

Auf dem Federazija Turm befindet sich die Aussichtplattform Moskau 360° im 89. Stock in 327 Metern Höhe und bietet einen großartigen Blick über die Metropole, dazu wird - warum  auch immer - als weitere Attraktion dort oben Eis hergestellt. Die Verkostung ist im Eintrittspreis inclusive, es gibt schlimmeres bei Temperaturen von über 30° C


Als wir unseren Blick schweifen lassen, entdecken wir den Siegespark und beschließen diesen als nächstes anzusteuern. Der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg ist auch nach mehr als 70 Jahren noch Balsam auf der russichen Seele. Jedes Jahr wird diesem Ereignis mit allerlei Paraden gedacht und es gibt wohl keine Stadt die nicht über einen Парк Победы verfügt.

Das ganze ist ganz nett anzuschauen, man verpasst aber nichts, wenn man nicht hinfährt. Drumherum gibt es noch ein wenig Architektur Modell Stalinallee und einen Triumphbogen.  Das war es dann auch.

Unsere Mägen knurren, wir fahren zur Majakowskaya zurück und finden ein russisches Restaurant mit sehr leckerer Soljanka, Chebureki und mit Käse überbackenen Tomaten. Im Hintergrund läuft auf dem Fernseher Mimino, eine sowjetische Komödie, deren Ambiente hervorragend zum Lokal passt. Wir kommen mit zwei Mädels am Nebentisch ins Gespräch, die gerade von einem Filmfestival in Sibirien kommen. Die eine ist Kolumbianerin, die andere Rumänin, beide leben in der Schweiz und berichteten von der etwas skurrilen Propagandaveranstaltung, deren Gast sie waren.

Gern hätten wir noch weiter geplaudert, aber Carmen wartet im Bolschoi Theater auf uns. Hier haben die Preise definitiv europäisches Niveau, für 50 Euro haben wir Plätze in der zweiten Reihe im dritten Rang erstanden. Die Sicht ist  bescheiden, man muss sich sehr nach vorn beugen, um einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. In der dritten Reihe kann man im Sitzen gar nichts sehen, daher steht man. Das Theater und das ganze Ambiente ist prachtvoll, der Gesang wunderbar, dennoch entschließen wir uns in der Pause zu gehen. Christopher ist eh kein großer Opernfan und mich stören die Sitzverhältnisse.

So fahren wir nochmal zum Neuen Arbat, suchen uns eine Bar und lassen die letzten Tage Revue passieren, während die Plattenbauten um uns herum bunt angeleuchtet werden. 

Metroimpressionen Majakowskaja


8. Juni 2019
Von Moskau nach Wolgograd


Neben Tatra Straßenbahnen, U-Bahnen und Flugzeugen und sozialistischen Relikten können wir uns auch noch für Züge begeistern. Wir packen unsere Koffer, räumen unser Apartment und brechen mit dem Taxi zum Pawelezer Bahnhof auf. Um 14.05 soll der Zug 001 и uns nach Wolgograd bringen. Wir haben uns ein Luxusabteil gegönnt und sind vom Donner gerührt. Als wir einsteigen, tauscht die Schaffnerin noch schnell die rosa Hausschlappen gegen blaue, dann stehen wir in unserem Abteil, dessen Holztür (mit eigenem Schlüssel) mich  ein wenig an eine Schiffskabine erinnert. Wir haben zwei Betten übereinander, eine kleine Sitzecke und ein eigenes Bad mit Dusche. Auf dem Tisch steht ein Obstteller, zwei Tafeln Schokolade, Wasser, Kulturtaschen und die Speisekarte. Bevor wir uns das genau anschauen, wollen wir aber erst noch ein wenig die Stimmung auf dem Bahnsteig einfangen und natürlich die Lok sehen. Da wir im letzten Wagen untergebracht sind, ist der Weg dahin etwas weiter.

Pünktlich rollen wir schließlich aus dem Bahnhof, wir verstauen unser Gepäck und machen uns mit der Einrichtung vertraut, als Sergej, unser Schaffner kommt. Englisch spricht er nur wenig, aber er kommuniziert mit dem Google-Übersetzer auf seinem Handy mit uns, erklärt uns so unser Abteil und nimmt unsere Bestellung fürs Abendessen auf, sowie die Zeit, zu der wir zu speisen wünschen. Ich bin schon schlechter gereist. Christopher hat noch zu arbeiten und ich sortiere Bilder und aktualisiere das Reisetagebuch während draußen die Landschaft an uns vorbeizieht. Sechzehn Stunden sind für die etwa 900 Kilometer geplant, entschleunigtes Reisen.


Der Zugchef besucht uns und erkundigt sich nach unserem Befinden, auf unsere Frage nach Bier wird dieser Wunsch sofort weitergegeben und erfüllt.

Nach dem Abendessen schlagen wir uns zum Speisewagen durch, der etwa acht Waggons entfernt ist und verstehen nun auch, warum das Essen nicht mehr ganz warm war. Der Weg ist weit. Ein gemütlicher Kellner versorgt uns mit Schiguli Bier, der Herr am Nachbartisch  hat Gesprächsbedarf, den wir aber freundlich ignorieren. In Grjasi halten wir 35 Minuten, am Bahnsteig sind Buden und die Lok wird gewechselt. Eine Taigatrommel wird uns nun durch die Nacht ziehen. Zurück in unserem Coupé lassen wir uns die Betten richten. Ich habe unten überraschend viel Platz und schlafe tatsächlich ein.

Impressionen aus dem Zug


9. Juni 2019

Mutter Heimat ruft


Um 7 Uhr klingelt der Wecker und wir fühlen uns tatsächlich ausgeschlafen, das war eine sehr angenehme Art des Reisens. Wir machen uns frisch, um 8 Uhr kommt das Frühstück, Omelett und Haferschleim und um 9.15 laufen wir pünktlich in den Wolgograder Hauptbahnhof ein.

Wir nehmen ein Taxi zum Hotel und stellen fest, dass wir auch zu Fuss hätten gehen können. Erfreulicherweise können wir auch gleich in unser Zimmer, stellen die Sachen ab und machen uns auf den Weg zur Haltestelle Pionierskaja. Mit der Stadtbahn geht es zum Mamajewhügel, der von der Mutter Heimat Statue gekrönt wird. Gegenüber am Wolgaufer befindet sich das Fussballstadion, das man zur WM neu gebaut hat. In der Schlacht von Stalingrad war der Hügel heftig umkämpft. Wir nehmen den Weg hinauf und landen im Saal des Soldatenruhmes, eine ewig Flamme wird von Soldaten der Roten Armee bewacht, zur Erinnerung an die Ereignisse, die sich hier im Winter 1942 zutrugen. Man kann gut erkennen, wie die Wachen schwitzen, doch Ablösung naht.

Die Monumentalstatue wird offenbar in Kürze restauriert und man beginnt sie einzurüsten. Da haben wir aktuell ja nochmal Glück gehabt, dass man noch bei den Füßen ist. Nach einem Spaziergang um die Anlage fahren wir zurück und essen im Restaurant Prag zu Mittag.

Nachmittags gehen wir ins historische Museum und lernen über die Schlacht von Stalingrad, inclusive Besichtigung eines Dioramas des Schlachtfeldes. Ein weiteres Museum finden wir im Keller des Kaufhauses Univermag, hier hat man General Paulus festgesetzt und kapitulieren lassen.  Und damit haben wir die sehenswerten Dinge in Wolgograd auch schon fast alle gesehen. Wir chillen ein wenig in unserem Hotel, essen in der Volksküche (народная кулинария) nebenan zu Abend und schlendern danach durch die Grünanlagen hinab zur Wolga. Hier herrscht ensptannte Stimmung, flanierende Menschen, spielende Jugendliche, ein paar Lokale. Im Dunkeln fotografieren wir schließlich noch den Bahnhof und nehmen etwas Bier im 24 Stunden Supermarkt mit, das wir im Park neben dem Hotel trinken, bis die Mücken uns ausgesaugt haben. Nur was wir morgen machen sollen, wissen wir noch nicht so genau.

Wachablösung am Mamajew-Hügel


10. Juni 2019

Gänsehaut und feuchte Augen


Wir schlafen aus, Programm haben wir ja keines und überlegen dann, was wir mit dem Tag anstellen. Christopher kommt auf die Idee, den deutschen Soldatenfriedhof Rossoschka zu besuchen, etwas außerhalb der Stadt und so bestellen wir uns nach dem Frühstück ein Uber.


Die Anlage liegt recht weitläufig im Nirgendwo, 45 Fahrminuten von der Stadt entfernt und besteht aus Steinen mit allerlei Inschriften und natürlich vielen deutschen  Namen, Geburts- und Sterbedaten. Als ich all das sehe, werden meine Augen unerwartet feucht, wieviele Leben junger Männer, die meisten Anfang Zwanzig sind hier vollkommen sinnlos vergeudet worden - für nichts, außer für den Größenwahn einzelner.  Welch ein Wahnsinn, der hier veranstaltet wurde. Wir nehmen uns Zeit, unser Taxi wartet und besuchen auch noch den russischen Friedhof auf der anderen Seite der Landstraße. Ein Besuch, der Spuren hinterlässt.

Zurück in Wolgograd lassen wir uns an einer Straßenbahnhaltestelle absetzen, auch hier fahren noch T3 Züge. Beim Fotos machen und mitfahren kommen wir wieder auf andere Gedanken. An der Endhaltestelle lässt sich kein Uber auftreiben, so können wir auch noch eine O-Bus Fahrt zurück ins Zentrum auf die Liste unserer Erlebnisse setzen.

Das schöne Wetter genießend gehen wir nochmal hinunter zur Wolga und kehren auf einer Terrasse ein um ein Bier im Sonnenschein zu trinken. Wir haben das Glück, unser Leben genießen zu dürfen und sinnieren über Soldatenfriedhöfe und die Highlights unserer Reise. Es fällt uns schwer, einzelne Punkte aus den Erlebnissen der letzen Tage besonders herauszuheben, alles war spannend, interessant und oft auch anders als erwartet.

Wir essen nochmal in der Volksküche, holen unsere Sachen und fahren zum Flughafen. um 18:45 Uhr bringt uns Aeroflot zurück nach Sheremetyewo, der Flieger braucht nur 1:50 Stunden dafür. Im Flughafen brauchen wir ein wenig, bis wir endlich den Ausgang finden, dann beziehen wir unser Zimmer im Park Inn und nehmen noch einen Abschiedsdrink

Tatra T3


11. Juni 2019

Westwärts


Um 4.30 Uhr weckt mich die Sonne, die mir ins Gesicht scheint, ich schaue auf die Uhr und stelle fest, das Christopher schon weg ist. Auf meinem Handy habe ich eine Nachricht, ich hätte tief und fest geschlafen, da hätte er mich nicht wecken können. Ich wünsche ihm einen guten Flug, in 20 Minuten hebt er ab nach Riga und weiter nach Hamburg. Ich drehe mich noch zwei Stunden lang um, frühstücke, packe mein Zeug und fahre um 8 Uhr rüber zum Flughafen.


Meine Kollegin Sylvie ist seit Ende Februar nebst Gatten und Kind in Chicago und als nächsten Programmpunkt will ich sie da besuchen. Ich hoffe, die Finnair hat noch ein Plätzchen für mich frei und stelle mich an. Der Supervisor ist ein netter Mensch, er checkt mich nicht nur bis Helsinki, sondern gleich nach Chicago ein und auf der Langstrecke in der Premium Economy. Motiviert trete ich den Flug nach Westen an.

Pünktlich landen wir in Helsinki, ich lasse meine Papiere checken, erkläre, dass ich meinen Koffer selbst gepackt habe und esse schnell was, nur um festzustellen, dass es Verspätung gibt, etwas mehr als eine Stunde. Ich fasse mich also in Geduld und nehme irgendwann meinen Sitzplatz ein. Um mich herum ist frei, es gibt ein Kulturtäschchen, geräuschunterdrückende Kopfhörer und angenehm viel Platz. Für Kinder werden kleine Mumins-Schlüsselanhänger verteilt, ich brauche unbedingt so einen für Fred, Sylvies Sohn. Der Flugbegleiter kann das verstehen und schenkt mir einen, der vorne auf dem Trolley sitzend bei mir vorfährt. Ansonsten ist der Flug recht ereignislos und ich schaue Filme. Um 16.20 Uhr (0.20 Uhr Moskauer Zeit) lande ich auf dem O'Hare Flughafen von Chicago und gehöre mit zu den ersten, die den Flieger verlassen können. So gelingt es mir binnen einer halben Stunde im Shuttlebus zu Terminal 2 zu sitzen. So schnell war ich noch nie in dern Vereinigten Staaten. Die Passkontrolle findet am Automaten statt, der Heimatschutzbeamte fragt mich lediglich noch auf deutsch, was ich in den Staaten will und wie lange ich bleibe, dann stempelt er meinen Pass. Mein Rucksack taucht auch schnell aus den Tiefen des Gepäcksystems auf und so können Sylvie schnell an der  Haltestelle der Blue Line Wiedersehen feiern.

Wir fahren mit der Bahn in die Stadt und nehmen ein Uber nach Hause an den North Lake Shore Drive. Freds Zimmer ist auch meines, ich ziehe ein und schlitze mir am Türrahmen vom Bad erstmal den Mittelfinger auf, beschließe aber, dass das auch so wieder heilt. Verpflastert fahren wir vom 39. Stock auf die Dachterrasse im 41. und grillen. Um 21.30 Uhr (5.30 Uhr in Moskau) fallen mir dann aber auch die Augen zu und ich sinke in die Kissen.


12. Juni 2019

Kälteschock


In Familien mit kleinen Kindern ist das Leben geregelt, der Junior bestimmt den Tagesablauf und so ist gegen 7 die Nacht vorbei, Max ist schon zur Arbeit aufgebrochen, Sylvie und ich frühstücken und der Blick aus dem Fenster verheißt eher maues Wetter. Nachdem Petrus uns in Russland sehr wohlgesonnen war, habe ich hier für Temperaturen um die 14  Grad eher die falschen Sachen eingepackt.

Wir legen das Kind in seinen Wagen und besteigen den  Bus nach Downtown. Busfahren ist hier so eine Sache, gefühlt hält der Bus etwa alle 50 Meter, Gott sei Dank handelt es sich aber um einen Expressbus, der einen Teil der Strecke ohne Halt zurück legt, erst in Downtown halten wir dann brav  an jeder Ecke und so dauert es, bis wir am Watertower aussteigen und ich in den Hochhausschluchten nach oben schauen kann.

Wir laufen die Michigan Avenue runter und shoppen ein wenig, ich fotografiere, es beginnt zu regnen. Wir sind im Land der Burger und damit auch in der Heimat von... Shake Shack. Damit ist das Lokal fürs Mittagessen gesetzt. Der Regen lässt nach und wir setzen unsere Runde fort bis uns das Wetter keinen Spaß mehr macht. Im Supermarkt nehmen wir noch Lebensmittel für zu Hause mit, machen es uns gemütlich und klönen. Nachdem Fred abends im Bett ist, spielen wir zu dritt "Zug um Zug" und bauen Eisenbahnstrecken quer durch die Staaten. Der Wetterbericht verheißt auch für die kommenden Tage kein Wetter um am Pool zu liegen.


13. Juni 2019

Die Sonne scheint - Fotos machen


Sylvie und ich frühstücken ganz gemütlich zusammen, der Blick aus dem Fenster stimmt uns hoffnungsfroh. Es ist zwar nicht sonderlich warm, aber immerhin ist kein Regen in Sicht und am Himmel sieht man blaue Stellen blitzen.

Heute wird Hochbahn gefahren, ich habe ein paar Spots auf meinem Zettel, die ich gern fotografieren möchte. Danach spazieren wir am Chicago River entlang und essen unser Aloha Poké Menü tatsächlich im Sonnenschein. So wird es Zeit, die Bohne im Millenium Park zu besuchen, neben der Skyline ist diese Skulptur von Anish Kapoor eine von Chicagos Hauptsehenswürdigkeiten. Wir flanieren durch den Millenium Park, setzen den 10 Monate alten Fred in die Schaukel für Kleinkinder und freuen uns an seiner Freude. Wo wir schonmal bei Kunst sind, halten wir noch an der Crown Fountain, die wirklich ziemlich geil ist, dann geht es mit der Hochbahn zum Fotografieren zur Station Adams/Wabash, hier ist der Blick auf den Trump Tower am Besten.

Wir fahren nach Boystown, gehen spazieren und einkaufen, das Abendessen zu Hause bringt der Bringdienst, dann darf Max auf Fred aufpassen und Sylvie und ich gehen zum Millenium Park Music Series, Live Music im Jay Pritzker Pavillon genießen.

Danach ist die Gelegenheit günstig für Nachtfotos und so klappern wir noch ein paar Spots ab, bevor wir den freien Abend mit einem Drink in der Rooftopbar auf dem London House beschließen.

Chicago Elevated


14. Juni 2019

Shopping


Nach dem Frühstück sammeln wir das Mietauto ein und fahren nach Wisconsin in die Pleasant Prairie Premium Outlets. Die Steuern hier sind niedriger und die Anlage steht auch direkt hinter der Grenze zum Staate Illinois. Die Fahrt dauert eine Stunde wir shoppen drei weitere und stehen auf dem Rückweg zwei im Stau. Das eine oder andere Schnäppchen schlagen wir und kommen mit vollen Tüten heim.

Abends gibt es selbstgemachte Burger und wir spielen nochmal Zug um Zug.

JMUE8617

15. Juni 2019

Ruhetag


Es ist nicht windy city, es ist mehr die rainy city. Nach dem Frühstück streichen wir als erstes unseren Ausflug zu den Indiana Dunes, weder der Blick aus dem Fenster noch der Wetterbericht machen Hoffnung. Insofern dösen wir rum, nutzen den Mietwagen für eine Fahrt zum Adler Planetarium für Fotos und um Getränke zu kaufen . Für den Abend verabreden wir  mit einem Ex-Kollegen, den es auch nach Chicago verschlagen hat.

Wir wagen am Nachmittag einen Spaziergang am Riverwalk, aber der fällt regelrecht ins Wasser, wir fliehen zu Max ins Büro, da ist wenigstens die Aussicht spektakulär.

Zum Abendessen braten wir Fleisch in der Wohnung, da die Dunstabzugshaube schlecht ist, geht der Rauchmelder im Treppenhaus los, den in der Wohnung hat Max vorsichtshalber schon abgedeckt. Das ruft den Hausmeister auf den Plan, der ein wenig ratlos ist. Immerhin kommt nicht die Feuerwehr.

Sylvie und ich verbringen danach einen entspannten Abend bei Ralf und seiner Frau. Max muss allein auf seinen Sohn aufpassen, der Hausmeister klingelt noch zweimal...


16. Juni 2019

Shy-cago


Das Wetter ist ähnlich wie gestern, neblig und kühl, aber es regnet nicht. So lassen wir Fred erneut in der Obhut seines Vaters und ziehen nach dem Frühstück los in den Lincoln Park und zum North Avenue Beach. Vom Michigansee erkennt man nicht viel, selbst wenn man direkt am Strand steht ist nur ein schmaler Streifen zu erkennen, bis alles in einer milchigen Suppe versinkt.

Wir kehren ein, um uns aufzuwärmen. Neben Cheesecake ist mir tatsächlich nach heißem Tee, es scheint aber, daß dieses Getränk im Ansehen der Amerikaner seit der Unabhängigkeitserklärung sehr an Bedeutung eingebüßt hat. Man reicht mir eine Tasse mit lauwarmem Wasser und eine Auswahl an einzeln eingepackten Teebeuteln. Ich entschiede mich und hänge den Beutel ins Wasser, dieser weigert sich aber schon fast, seinen Inhalt preiszugeben. Ich reklamiere und die Bedienung entschuldig sich überschwenglich bevor sie mir eine Tasse wirklich heißes Wasser und einen neuen Beutel bringt. Kulturbanausen!

Immerhin können sie Kuchen. Wir spazieren am Strand entlang nach Hause und vergammeln den Sonntag dort. Abends klart es ein wenig auf, eigentlich sind wir träge, raffen uns aber doch auf und holen die Räder aus dem Keller. Ich will doch gern nochmal die Skyline bei Nacht fotografieren.  Mit Fahrrädern ist alles viel einfacher als mit dem Bus und die Bewegung tut richtig gut, so sind es bloß 10 Minuten bis zum Strand, Teile der Hochhäuser verstecken sich schüchtern in den Wolken, aber ohne sind sie ja auch schon tausende Male fotografiert worden.



17. Juni 2019

Rad & Zug


Sylvie und Fred müssen heute zum Babyschwimmen, ich wollte erst mit, stelle aber beim Frühstück fest, dass das Wetter sich gebessert hat und noch ein paar hübsche Bilder verspricht. Ich leihe mir deshalb nochmal Max' Fahrrad aus und fahre am See entlang, Richtung Downtown. Das ganze macht mir soviel Spaß, dass ich gleich bis zum Südufer zum Adlerplanetarium durchradele und auf dem Rückweg dann verschiedene Stops einlege. Auf der Straße begegnet mir eine Amish-Familie, die ich ein wenig verfolge, die Skyline präsentiert sich weniger schüchtern als gestern und meine Laune ist ganz wunderbar.

Drei Stunden später bin ich wieder zurück, mache Mittagsschlaf und packe mein Zeug wieder zusammen, heute abend geht es mit dem Zug weiter nach Washington, D.C., Sylvie und ich nutzen die verbleibende Zeit um noch ein wenig zu klönen, dann packen wir Fred ein und wollen in die Stadt, allein es kommt kein Bus. Irgendwann nach langen zwanzig Minuten kommt er  endlich doch noch. Wir drücken Max seinen Sohn in die Hand und machen uns auf den Weg zur Union Station.

Sylvie stöbert nach Essbarem, ich schaue mir das Treiben in der Wartehalle an. Züge werden hier aufgerufen, die Passagiere nehmen  hinter Schild A oder B Aufstellung und laufen dann einem Amtrak Mitarbeiter im Gänsemarsch hinterher zu den Gleisen. Sehr interessante Vorgehensweise. Wir mampfen bis Zug Nummer 30, der Capitol Limited aufgerufen wird und wir hinter Schild A Aufstellung nehmen dürfen. Als die Reihe sich in Bewegung setzt, verabschieden wir uns im Laufen. 

Die Plätze werden beim Einsteigen zugeteilt. Während alle einsteigen will jemand unbedingt wieder raus, was auf der engen Treppe nach oben nicht ganz einfach ist. Er müsse den Schaffner sprechen, das ginge so nicht, er bräuchte einen neuen Sitzplatz.  Als ich oben ankomme, verstehe ich sein Problem, er sollte wohl neben dem 220 kg Mann in der ersten Reihe sitzen, der über zwei Plätze "fließt". Ich finde mich auf einen Fensterplatz drei Reihen weiter wieder. Es gibt reichlich Beinfreiheit, das Licht ist schummerig, oben sitzt man, unten sind die Toiletten und Gepäckfächer. Neben mir nimmt eine Frau Platz, wir kommen ins Gespräch. Sie kommt aus San Francisco und war schon drei Tage von dort mit dem Zug nach Chicago unterwegs. Eigentlich kommt sie aus Darmstadt, ist aber vor 28 Jahren ausgewandert. Jetzt durchmisst sie Amerika mit der Bahn auf dem Weg zu ihrem Sohn in DC. Ich lerne, dass sich nebenan der Observation car befindet. Ein Aussichtswagen mit hohen Fenstern und gemütlichen Sitzen. Ich schnappe mir meinen Proviant und genieße ein wenig die Landschaft. Ich habe ja jetzt 17einhalb Stunden Zeit dazu. Zugfahren ist auch in den Staaten eine entschleunigende Angelegenheit, es geht nicht schneller als in Russland, es liegen 1.200 km vor mir.


Ich hole mir unten ein Bier, schaue in die jetzt nicht umwerfend spektakuläre Vegetation und gehe irgendwann zurück auf meinen Sitz und versuche zu schlafen. Es dauert eine Weile bis ich Lehne und Fussraste in eine angenehme Position gebracht habe, aber dann finde ich eine passende Stellung und schlafe tatsächlich ein.


18. Juni 2019

Amerikas Hauptstadt


Gegen 7 Uhr wache ich auf, ich habe nicht so gut geschlafen wie im russischen Schlafwagen, aber besser, als ich zuerst erwartet habe. Der Blick auf die Uhr und Google Maps zeigt, dass wir über Nacht zwei Stunden Verspätung eingefahren haben, in Amerika haben Güterzüge Vorrang. Ich räkele mich ein wenig und prüfe das Frühstücksangebot im Bistro, besonders erbaulich ist es nicht, aber es nützt ja nichts, der Hunger treibt es rein. Beim "Kaffee" - oder was man hier dafür hält, gibt es immerhin einen free refill. Die Fahrt zieht sich so dahin, es bleibt bei den zwei Stunden Verspätung, statt um 13 Uhr sind wir um 15 Uhr an der Washingtoner Union Station.

Ich schleppe mein Zeug zur Metrostation, entlocke dem Automaten mit Hilfe einer Passantin eine SmarTrip Card und fahre zur U Street in mein Kapselhostel. Da die Hotelpreise in DC schlicht unverschämt sind, habe ich dieses Schnäppchen aufgetan, drei Nächte mit Frühstück für etwas mehr als 100 Euro.  Ich bin gespannt. Ein großer Raum, 8 Kapseln, die mit der Nummer 12 wird meine. Man kann drin sitzen, vorne ein Rollo runterziehen und hat so zumindest ein wenig Privatsphäre. Doof ist nur, dass es keine Aufbewahrung fürs Gepäck gibt. Ich suche mir einen Platz für meinen Rucksack neben einem anderen Koffer, der da herrenlos im Raum rumsteht und gehe erstmal duschen, schön züchtig hinter einem Vorhang. Mit Nacktsein haben es die Amis ja nicht so.

Außerdem brauche ich dringend andere Sachen, in DC sind dreißig Grad und die Sonne scheint, es türmen sich dazu dramatisch ein paar Wolken, die Wetterapp ist in ihrer Prognose eher indifferent. Ich ziehe los und fahre erstmal zum Nationalarchiv um mir von dort meinen Weg zur National Mall zu bahnen. Das Capitol strahlt mich zur Linken an, das Smithsonian Castle geradeaus und rechts das Washington Monument.  Im Capitol habe ich morgen einen Termin also laufe ich nach rechts. Als ich am Lincoln Memorial fertig bin und zum Vietnam Veterans Memorial weiter will, öffnen sich alle Schleusen. Ich stelle mich an einem Kiosk unter, dichtgedrängt mit anderen Menschen, aber auch nach 20 Minuten wird der Regen nicht weniger. Mein nächster Stop ist eine Bushaltestelle, aber es kommt leider kein Bus. Nass bin ich eh schon, also kann ich auch die sieben Blocks bis Farragut West noch weiterlaufen. Klitschnass rolle ich in den Washingtoner Untergrund.

Als ich wieder im Hostel ankomme, gibt es Gratispizza. Ich kaufe mir Bier, esse Pizza und sortiere die ersten Fotos in Washington.


19. Juni 2019

Washington Entdeckertag


Ich habe überraschend gut in meiner Kapsel geschlafen. Die mitgebrachte Elektronik konnte an den USB Steckdosen aufgeladen werden, Stöpsel in meinen Ohren haben die Außenwelt abgeschirmt. Jetzt um 7 Uhr rumort es allerdings draußen, also krieche ich aus dem Bett und gehe duschen. Zum Frühstück gibt es Toast und Waffeln, entsprechend gestärkt breche ich zum Capitol auf. Bereits in Deutschland habe ich mir einen Besichtigungsslot für 10.30 Uhr gesichert, stehe aber trotz Sicherheitskontrolle und langer Schlange bereits um 9.15 im Visitors Center und versuche umzubuchen, was gelingt. Um 9.40 öffnen sich die Türen zum Kino und eine riesige Menschenmenge nimmt mir mir Platz um sich einen heroischen Film über die Demokratie in Amerika und die Bedeutung des Capitols anzuschauen. Nach ungefähr einer Viertelstunde geht es auf der anderen Seite wieder hinaus, wir werden in fünf Gruppen eingeteilt, bekommen Headsets und laufen einem Führer hinterher in die zentrale Halle unter der Kuppel des Gebäudes. Hier hängen Gemälde an der Wand, es stehen Skulpuren herum von ehemaligen Präsidenten und anderen, die Bedeutung in der Geschichte der amerikanischen Demokratie hatten und vor allem sind überall unglaublich viele Menschen. Der Raum wird erläutert, es wird erzählt, wie man George Bush hier nach seinem Tode aufgebahrt hat, dann geht es einen Raum weiter, wieder Bilder und Skulpturen, diesmal aus den einzelnen Bundesstaaten, zurück zum Visitor Center das war's. Bereits um 10.30 Uhr wandere ich wieder die National Mall herunter in Richtung Lincoln Memorial. Den Besuch im Capitol hätte ich mir auch sparen können.


Mein nächstes Ziel ist das Weiße Haus (Rückseite), das ist weiträumig abgesperrt, an einem Spot tummeln sich Menschen und machen Selfies, hier kann man einen Blick erhaschen. Die Vorderseite schaue ich mir morgen an, ich gehe weiter zum Jefferson Memorial, das ist ein reichlicher Fussmarsch ums Tidal Basin herum. Das Denkmal ist eingerüstet und mir ist sehr warm. Das Roosevelt Memorial schaue ich mir auch noch an, ebenso das für Martin Luther King. Dann suche ich nach einer Metrostation, ich will zum Arlington Nationalfriedhof und hab keine Lust mehr zu laufen, die Metro ist allerdings auch ein Stück weg.

Es ist heiß und sehr anstrengend. Der Friedhof ist natürlich riesig, nützt ja nix. Das Grab der Kennedys und die Wachablösung am Grabmal des hiesigen unbekannten Soldaten will ich sehen. Eine amerikanische Besucherin mache ich auch noch glücklich, indem ich ihr den Weg zum Grabmal weise, sie hätte aber auch nur auf das Schild neben mir schauen müssen.


Im Gegensatz zu Russland steht die Ehrenwache sich hier nicht bei über 30 Grad die Beine in den Bauch, sondern marschiert auf und ab. Außerdem wird sie alle 30 Minuten abgelöst. Weicheier.

Ich schaue mir das zackige Schauspiel an und habe Hunger, auf dem Weg zum Ausgang verlaufe ich mich noch eine Runde, dafür werde ich mii einem Blick aufs Pentagon belohnt. Mächtig gewaltig!

Auch in DC treibe ich einen  Shake Shack auf, ein letzes Mal einen Double Smoke Shack, dann hab ich erstmal genug vom Rumlaufen und fahre in mein Hostel.

Zur blauen Stunde will ich nochmal los, bis dahin beschäftige ich mich mal damit, wie ich übermorgen wohl am besten heimkomme und sortiere die heute erlegten Motive. Am Abend geht es nochmal zum Lincoln Memorial, das Wetter und das Licht spielen mit und ich laufe ein weiteres Mal die National Mall zum Fotografieren runter. Um 23 Uhr bin ich endlich fertig, schnell noch ein Bier und ab in die Kapsel.

Arlington National Cemetery - Wachablösung


20. Juni 2019

und nochmal das Capitol


Nach dem Frühstück fahre ich als erstes nach Georgetown, das soll der hippe Stadtteil sein, außerdem soll man hier unbedingt einen CupCake essen. Ich spaziere ein wenig am Potomac entlang an und schaue mir an, wo die Menschen arbeiten, die uns die Nachrichten aus Washington ins heimische Wohnzimmer bringen.

Mit dem Cupcake gestärkt fahre ich mit dem Bus zur National Cathedral, 12 Dollar Eintritt ist sie mir allerdings nicht wert. Ich verlagere daher meinen Standort zur Vorderseite des Weißen Hauses auf den Lafayette Square. Auch hier ist alles weiträumig abgesperrt, während sich auf der Rückseite aber nur die selbsternannten Instamodels tummeln, wird hier ein wenig demonstriert, so eine art amerikanischer Speakers Corner. Evangelistin Melody möchte gern Präsidentin werden und ein anderer Demonstrant konstatiert. das Pompeo mit dem Iran Blödsinn anstellt und Präsident Trump weg muss. Ich sauge die Stimmung ein wenig auf, bevor ich nach Alexandria im Süden der Haupstadt weiterfahre. Ein nettes kleines Städtchen an den Gestaden des Potomac Rivers. Mit einem Frappucino gehe ich schaukeln im Sonnenschein, spaziere noch ein wenig an der Waterfront entlang und durch die Straßen, bevor ich mein nachmittägliches Päuschen im Hostel einlege.

Am Abend regnet es wieder. Aber Gott sei Dank handelt es sich diesmal mehr um einen Schauer als um einen Landregen. Ich vertreibe mir die Zeit bei bibibop und esse asiatisch, dann geht es zum letzten Mal zum Capitol. Fotos in der Abendsonne und zur blauen Stunde. Mit mir tummeln sich noch ein paar andere Fotografen dort, ich plaudere nett mit einer indischen Familie und versuche mich an Langszeitbelichtungen.

Im Hostel erfreue ich mich an meinem letzten Bier und gehe entspannt schlafen.

Melody campaigns for President


21. Juni 2019

Homebound


Der Tag beginnt entspannt mit Frühstück, ich räume meine Kapsel, packe meine Sachen und fahre mit Metro und Bus um 11 zum Dulles Airport. Es gibt verschiedene Optionen nach Hause zu kommen, so richtig gut sieht keine aus und ich stelle mich seelisch darauf ein, längere Zeit am Flughafen zu verbringen, bis mich ein Flieger mitnimmt. Lust habe ich darauf keine, aber wer standby fliegen will, braucht halt Geduld.

Am Checkin erzählt mir die Supervisorin, dass mein Flug mit sieben Leuten überbucht sei,  eine Info die ich dankenswerterweise schon von einer Freundin hatte, die sich die letzten beiden Tage in Indonesien weilend redlich darum bemühte, mich mit den aktuellen Passagierzahlen für die beiden Flüge nach Frankfurt und den einen nach München zu versorgen. Es ist ja doch schöner, wenn man weiß, was einen erwartet.

Meinen Rucksack nimmt man aber dennoch an und checkt ihn auch gleich nach Hannover durch, offenbar ist man optimistisch, dass ich mitkomme. Dann bin ich es auch. Ich esse was und trödele durch den Flughafen, irgendwann warte ich am Gate, die Passagiere steigen ein, ich warte weiter und gehe dann doch mal vor zum Schalter. Ja, es sei voll, aber man würde mal schauen, was man machen kann. Eine freundliche Swissport Angestellte, erkundigt sich für mich schonmal nach einem Jump Seat und bittet mich um Geduld, man würde mich schon noch unterkriegen.  Als nächstes stellt man mir einen Sitz in Aussicht, wenn der Rollstuhl nicht käme, der biegt genau in dem Moment um die Ecke. Vor mir sind noch zwei weitere Standbys, aber am Ende ist nur ein Sitz frei - in der Premium Economy und ich bekomme ihn. Lucky me. Das wird ein sehr angenehmer Flug.


22. Juni 2019

Wieder daheim


... und so ist es auch, ein angenehmer Flug, ein schöner Sitz und wir sind vor der Zeit in Frankfurt, meinen Anschluß nach Hannover erreiche ich problemos, der Rucksack ist auch da, die S-Bahn abfahrbereit, was will ich mehr. Nach fast drei Wochen liege ich um 9 Uhr morgens in meinem eigenen Bett und lasse den Urlaub Revue passieren. Die Woche in Russland war schon sehr spannend und mit allerlei Highlights angefüllt. In Chicago war es schön, Sylvie wiederzusehen, das Wetter war leider ein Flop, die Stadt interessant, aber auch austauschbar, die Amerikaner nach wie vor irgendwie seltsam auf ihrer kleinen patriotischen Insel. Die Zugfahrten waren lang aber jeweils ein Erlebnis. Washington, D.C.'s Charme wiederum ergibt sich daraus, dass man die meisten Sehenswürdigkeiten auch regelmäßig in den Nachrichten sieht. Das Wesentliche spielt sich auf den zweieinhalb Meilen der National Mall ab, eine ausreichende Dosis Capitol und Lincoln Memorial habe ich jedenfalls für den Rest meines Lebens bekommen. Insofern waren es halt auch Gegensätze in den Hauptstädten zweier Weltmächte, die wohl unterschiedlicher nicht sein können. Angefüllt mit all diesen Erlebnissen, mache ich erstmal meine Augen zu.

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